www.ultrashortstories.com ist ein aktuelles Projekt von Denny Laquette
Kurz, kürzer, ultrakurz - Geschichten reduziert bis auf die bittere Essenz.
Eingedampft. Bis Blut kommt.
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Wer sich als Sponsor, Mitmacher, Autor, oder sich als Beteiligter beteiliegen möchte, soll sich per Mail oder Nachricht bei Denny melden. Denny freut sich.
Hier ein paar Ultrakurzgeschichten von Denny.
Und fragen Sie später nicht, was das alles sollte.
Vorabend
Am Vorabend des dritten Weltkrieges besann sich Martin Sengbusch seiner verloren geglaubter Lebensnähe, sicherte Fenster und Türen gegen das Böse ab, überzeugte sich, dass er von allem genug habe und nahm die Gitarre zur Hand, um ein Lied über seinen Weltschmerz anzustimmen. Nach einem kurzen verkrampften Gezupfe und wenigen sperrigen Zeilen, die nur lustlos über seine Lippen kamen, legte der das Instrument zur Seite, um den längst fälligen Beschwerdebrief an seinen Nachbarn zu schreiben, der seinen Kirschlorbeer nicht zurückgeschnitten hat.
Camera Obscura
In seinen Augen eine traurige Leere. Ein leerer Raum. Ein vermeindlicher Blick auf die Straße.
Dort jagen Kinder den wehenden Blättern nach. Hin und her. Lachen und Schreien.
Aber seine Augen starren geradeaus. Leer.
Kennen Sie eine Camera-Obscura?
Eine Kiste mit einem Loch. Das Licht fällt hinein und erzeugt ein Bild.
Ein umgekehrtes Bild.
Sein Kopf, eine Kiste. Eine Camera-Obscura. Mehr nicht.
„Nicht, dass Sie es mir übel nehmen, aber Sie deprimieren mich“, sage ich.
Er antwortet nicht. Starrt weiter.
„Manchmal möchte ich an Ihrem Kopf anklopfen und laut hinein schreien“, sage ich
und bewege meine Finger wild vor seinen Augen hin und her.
„Sie deprimieren mich.
Sie Arsch“, fauche ich.
„Sie deprimierender Arsch“, wiederhole ich.
Plötzlich dreht er den Kopf in seine Richtung. Ganz langsam.
Dann fixiert er mich mit einem Blitzen in den Augen und sagt, „Kümmern Sie sich um ihren eigenen Dreck.“
Selbst
Können Sie mich sehen? Nein? Meine Stimme hören? Nein? Das ist normal. Denn ich bin nicht da.
Aber Sie spüren mich. Ich bin bei Ihnen. Ganz nah. Näher als Ihnen lieb ist.
Ich klopfe Ihnen auf die Schulter. Streichle Ihnen über den Kopf. Ein sanfter Druck.
Ein leichter Hauch. Ein Nichts. Denn ich bin nicht da.
Aber Sie spüren mich. Meine Fingerkuppen an Ihrer Stirn. Mein Mund auf dem Ihren. Meine Hand in Ihrem Nacken.
Eigentlich bin ich nicht da. Trage trotzdem Ihre Tasche. Zupfe Ihren Kragen in Form. Führe Ihren Stift. Greife Ihnen ins Lenkrad.
Aber nehmen Sie sich in Acht. Ich kann auch anders, wenn ich nur will. Ich könnte jemand Falschem die Hände reichen.
Einem Fremden von hinten in den Schritt greifen. Jemanden von der Brücke stoßen. Hoppla. Einfach so.
Ja, das könnte ich. Könnte Sie fertig machen. Jederzeit. Ihre eigenen Hände an Ihren Hals führen und zudrücken.
Ganz langsam. Ja, das werde ich. Irgendwann.
Anhalten
Nein, ich nehme keine Anhalter mit.
Auch keine Anhalterinnen.
Erst recht nicht, wenn sie nass sind.
Und schon gar nicht, wenn sie bluten.
Doch manchmal kann man nicht anders.
„Steigen Sie ein“, rufe ich in den Regen hinaus.
Die Anhalterin lässt sich in den Sitz fallen, zieht eine Plastiktüte auf Ihren Schoß und umklammert sie mit beiden Händen.
„Da draußen, da ist der reine Hass“, sagt sie.
Ich frage, ob sie schon lange im Regen gestanden hätte.
„Ein ganzes Leben.“, sagt sie, reibt sich einen Tropfen von der Nase und starrt in die Nacht hinaus.
Im Licht der Laternen sehe ich Schminke, die ihre Wangen herab rinnt und sich unter dem Kinn mit Blut zu schwarzbraunen Tropfen mischt.
„Sie bluten“, bemerke ich und frage, ob sie einen Arzt benötige.
„Nein“, antwortet sie, „das ist nicht mein Blut.“
Die Scheibenwischer stemmen sich synchron gegen den stürzenden Regen.
Bis ans Ende
Deinen linken Schuh hast du verloren. „Auch egal.“, winkst du ab.
Wird schon den richtigen getroffen haben. Dort unten, 114 Stockwerke tiefer.
Deine Beine baumeln über die blecherne Dachkante und deine Zehen
lösen die Umklammerung des zweiten Schuhs, bis auch dieser in die Tiefe fällt.
Bis ganz nach unten. Dort wo es mittlerweile 30 Grad heiß ist und steigend. Hochsommer.
Aber hier oben, hier weht eine kühle Brise.
Um dich herum, Funkmasten und Blitzableiter, Kabel und Gestänge.
Tauben wagen sich nicht in diese Höhe, obwohl du eine
Packung belgische Butterkekse bei dir hast. Belgische Butterkekse. Das ist alles.
„Keine Schuhe mehr. Aber Kekse“, scherzt du.
Dein Ausblick reicht bis weit über die Stadtgrenzen in die Ferne. Wolkenlos. Pilotenblick.
Von hier siehst du das Ende der Welt.
„Das Ende dieser beschissen verschissenen Welt.“, fluchst du
und steckst dir drei Butterkekse auf einmal in den Mund.
Krümel rieseln aus deinem Mundwinkel deinen Schuhen hinterher.
„Beschissen verschissene Scheißwelt“, schmatzt du durch den Butterkeksbrei
und die Sonne versinkt ganz dort hinten in der blutroten See.
Mann
Ein Bild von einem Mann. Wahrscheinlich über zwei Meter und Schultern wie ein Fels.
Arme wie Stahl, Beine wie Stämme. Augenbrauen wie Tannenwälder. Holzfäller sehen so aus. Grimmsche Riesen.
Du kannst den Blick nicht von ihm lassen, denn sein schwarzer Vollbart wirkt etwas verstörend.
Vielleicht aber nur, weil seine Lippen rot geschminkt sind.
Vielleicht sind es aber auch die Lippen selbst, die irritieren, zumal der Farbton
nicht zu der roten Perücke passt, die er trägt.
Nicht so ein Rot wie es die Huren tragen. Ein Rot wie von einer Diva. Divenrot.
Mit seinen heruntergekauten lackierten Fingernägeln kratz er sich ein paar Hautschuppen aus dem Bart und sagt, „Glotz weiter so dämlich und ich breche dir das Gesicht.“
Du siehst schnell in eine andere Richtung und denkst an Mutter.
Kunstprojekt.
"Rebecca", rief er seine Frau zu sich, "die Kunst wird uns aus unserer finanziell unbefriedigenden Situation herausholen."
Rebecca nickte voller Erfurcht vor solch einer Tatkraft.
„Ich werde vor laufender Kamera eine Skulptur aus Würstchen schnüren.".
"Toll", sagte Rebecca und klatscht in die Hände.
Euphorisch lief er sofort rüber in den Supermarkt und kaufte zwanzig Gläser mit je fünf Bockwürstchen und eine Rolle Paketschnur.
Gegen 11.00 Uhr rief er dann bei ARTE an.
"Television ARTE, bonjour!", erklang es am anderen Ende.
"Ähh, oui", stammelte er nach einer kurzen Pause.
"Monsieur? Television Arte. Bonjour?".
Nichts.
Er legte den Hörer langsam zurück auf die Gabel und beklagte er sich bei Rebecca, dass "die da" kein Deutsch sprechen.
Dann öffnete er das erste Glas und schob sich ein Würstchen in den Mund.
Hornissen
Stapel von Büchern und Magazinen formen in Wohnzimmer und Flur eine morbide Wohnlandschaft. In der Küche stehen Bündel aus geschnürten Prospekten.
Lose Blätter, fein beschrieben, zu kleinen Würfeln gepackt. Stühle und Hocker aus Schnellheftern. Kleine Päckchen; auch im Bad, durchnässt und zu Papierskulpturen modelliert. Im Schlafzimmer türmen
sich Zeitungen eines ganzen Lebens zu papiernen Säulen. Torbögen und Mauern aus Hochglanzpapier. Pappe, Pergament. Zellstoff überall. Wespen wohnen so. Hornissen.
Wie Frau Gohlke ihren Mann beim Bau einer Höllenmaschine ertappte
Sie war zutiefst enttäuscht.
Dennoch tranken sie noch einen letzten gemeinsamen Tee,
bevor er seine Maschine gegen ihren Willen laufen ließ.
Entsagung
In seiner festen Absicht, endlich etwas Vernünftiges mit seinem Leben anzustellen, nahm Wiglaf noch einen letzten Schluck aus der Flasche, um diese dann in einem Entsagungsritual zu zerschlagen. Seine Kraft für diesen endgültigen Schritt schöpfte er daraus, dass er sich ganz gewiss war, zur Not noch ein paar Flaschen im Kühlschrank zu haben, wenn es ihm denn nicht gelänge.
Vom Glück
Da sitzt du also glücklich vor deinem kleinen Berg bunter Blumen, den du mühsam zusammengetragen hast.
Doch plötzlich, da kommt er dir vor, wie ein riesiger Misthaufen und du träumst, irgendwo da draußen, da blühen noch rotere Rosen. Du Idiot.
Wie ich drüben eine Weltreligion gründen wollte
Da hatte ich also damals diese Idee für eine neue und verbesserte Weltreligion, welche ich auch sofort als kleines Mainfest aufschrieb. Verdichtet auf einer Seite reinsten Glaubens. Voller Kraft fuhr
ich mit einem Stapel Kopien dieses Manifestes rüber in die neuen Länder, weil sich die Glaubenssituation dort angeblich in einer Art Vakuum befinden sollte. In diesem Glaubensvakuum habe ich fleißig
prophetisiert und verkündet.
Leipzig, Dresden, Chemnitz. Immer wieder mit der letzen Kopie meines Manifestes rein in den einzigen Copyshop im Ort, einen neuen Stapel daraus machen. Wieder raus auf die Märkte, Schulhöfe,
Werksparkplätze. VEB irgendwas. Irgendwo. Ich auf meiner kleinen umgedrehten Kunststoffkiste. Heiser vom Reden. Jeden Tag.
Was dann passierte? Nun, nach nur zwei Taufen in zwölf Jahren habe ich 2004 mit der Sache aufgehört. Im Jahr 2005 hat mich einmal der Verfassungsschutz angerufen. Verwählt.
Müll
Müll. Blaue und gelbe Säcke soweit das Auge reicht. Der Rest in Kartons. In Klarsichtbeuteln, die nur mit einem kleinen Knoten verschlossen sind. In Plastiktüten von Aldi. Vom Pennymarkt. Dann Berge
von Tetrapacks, Milchkartons, pfandfreien Plastikflaschen. Arsenale von Weinflaschen, braune, grüne. Halbvoll.
Schimmelige Brote, Wurstzipfel und Käseränder. Gesammelter Wohlstand.
Dazu ein beißender Gestank, der sich nicht mehr weglüften lässt. Der faulig in die Möbel gezogen ist. Der süßlich im Teppich sitzt. Im Fell der Katze. Überall. Die Pest.
Und dann wieder nur Ausreden.
Ja. Wir hatten Gäste. Eine Riesenfeier. Renovierungsarbeiten. Ausmistung. Umstrukturierung. Streik der Stadtreinigung. Humbug.
Wie die kleine Manuela uns alle ins Verderben riss.
Eigentlich war es nur ein kindlich naives Spiel mit dem Luftgewehr.
Manuela (7) hatte sich vorgenommen endlich ihre ausgediente Barbie zu exekutieren.
Dies wollte sie eigentlich schon vor Wochen erledigt haben.
Vielleicht war es Unachtsamkeit, oder einfach nur Unvermögen, aber der Schuss ging bereits unmittelbar nach dem Laden der Waffe los.
Das Projektil landete nicht in der Holzvertäfelung, wie man vermuten würde, sondern zischte durch das offene Dachfenster hoch in den Himmel.
Weg war es.
Manuela seufzte erleichtert, da sie nichts beschädigt hatte und wandte sich wieder der Barbie zu, „Nun aber zu dir, Fräulein“.
Das Geschoß aber stieg weiter und weiter,
durch die Wolken, immer höher und höher, ins endlose Blau.
Und irgendwo dort oben traf es dann Gott. Mitten in den Kopf.
Patsch.
Tja, Manuelamaus, jetzt stehen wir ganz schön blöd da.
Da kannst du beten soviel du willst, jetzt gibt es keine neue Barbie mehr.
Auch kein Pony. Nie mehr.
Deutschland im Aufbruch
"Man muß den sicheren Stuhl, auf dem man sitzt,
durch das geschlossene Fenster werfen,
um gesellschaftliche Schranken zu durchbrechen", verkündet er.
Dabei erhebt er sich prophetisch und zeigt mit ausgestecktem Arm und Zeigefinger
auf den rotschimmernden Horizont.
"Setz dich wieder hin.", sagt sie, "Mein Schnullerbärchen"
Katzenliebe
„Sagen Sie mal, immer kaufen sie Katzenfutter. Katzenfutter und noch mal Katzenfutter. Und das jeden Tag. Und nicht nur ein Päckchen. Nein, ganze Paletten von Dosen kaufen sie. In allen
erdenklichen
Geschmacksrichtungen. Katzenfutter mit Rind, mit Huhn. Mit Innereien. Und sogar Vegetarisches. Zusätzlich noch Kartons mit Trockenfutter. Megapackungen. Dann Futter für Katzenbabies.
Knabberspielzeug. Vitaminpräparate. Futterergänzungen. Der ganze Einkaufswagen ist schon wieder voll. Müssen sie nicht auch einmal für sich einkaufen? Was essen sie denn so?“
"Na, Katzen. Was denn sonst?"
Lieber arm dran als
Beamter: Sie stellten einen Patentantrag für eine Kettensäge, die man mit einer Hand bedienen kann. Richtig?
Antragsteller: Richtig.
Beamter: Sie kriegen nicht genug, was?
Das kurze Berufsleben des eisernen Verhandlungsführers
Abputzen
Zwei Stunden sind vergangen und das Kind (9) sitzt noch immer mit dem „Lustigen Taschenbuch, Band 124“
und einem Riegel Mars auf dem Klo. Es öffnet die Türe einen Spalt breit und ruft hinaus:
„Fertig. Abputzen“.
Die Mutter steht in der Küche, senkt für einen Moment den Kopf und greift dann entschlossen nach dem Acopads.
Der Rest sind nur ein paar weitere harmlose Geschichten auf dem Weg zum erwachsen werden.
Fragensteller
Du stellst eine Frage nach der anderen.
Möchtest wohl alles wissen, was?
Schlaumeier.
Aber bedenke.
Nachforschungen anzustellen ist gefährlich.
Frag Adam oder Eva, die müssen das wissen.
Erkenntnis macht unglücklich.
Aber, gut gemacht.
Frag nur weiter.
Versau´ dir ruhig den Rest des Tages,
der Woche,
des Lebens.
Invasion
"Mutti, Mutti. Sie sagen, sie machen keine Gefangenen.
Gut, was?", jubiliert der dumme Bub.
"Das ist ja wirklich Toll!", antwortet die dumme Mutter.
Das Lied vom lieben Mütterlein
Sie fuhr einige Kilometer in den Wald, um die Kinder zu richten.
Doch sie vergaß den Spaten, weshalb sie wieder umdrehte.
Nächstes mal nicht mehr, dachte sie sich.
Nächstes mal nicht mehr.
Klassentreffen.
Sabine: „Kinder können so gemein sein. Ich erinnere mich, wie der Tobi und die Jungs immer „Dickes Bienchen“ zu mir gesagt haben.“
Tobias: „Habe ich das?“
Sabine: „Ja, aber ich weiß ja, du hast es nicht so gemeint. Kinder sind halt so.“
Tobias: „Aber fett bist du immer noch. Bienchen!“
Die Jungs: „Dickes Bienchen!“
Manchmal wird man von der Zeit eingeholt
Hey, Du.
Heirate, bevor dir die Haare ausgegangen sind.
Zeuge ein Kind, bevor die Menopause droht.
Baue ein Haus, solange die Zinsen niedrig sind und trage Miniröcke, so lange du die Beine dafür hast.
Hörst du mir zu?
Nimm ein heißes Bad, bevor es kein Gas mehr gibt.
Fälle einen Baum oder überfahre ein Kaninchen. Mach etwas sinnvolles. Gründe eine Religion oder sonst etwas, bevor es ein anderer tut.
Es könnte schon bald zu spät sein.
Kommst du noch mit?
Auf einer Zeitskala in kosmischen Maßstäben blitzen entstehende Galaxien nur kurz auf, um sofort wieder zu verglühen. Wenn man es realistisch betrachtet sind wir alle bereits tot.
Verdammt noch mal, mache etwas, bevor es mit dir zu ende geht.
Tupperwahn
Als du bemerkst, dass dein Hund Müslibrote,
kunstvoll geschnittene Apfelscheiben
und eine halbierte Tomate frisst,
weißt du, dass dein Kind die Essensreste
vom Vortag mit in die Schule genommen hat.
Der Hund ist noch nicht ganz satt, da klingelt bereits das Jugendamt. Kinder holen.
Phantasie im Fokus menschlichen Handelns
Ja, klammere dich fest an die Tischplatte,
bilde dir ein, es gäbe dir Sicherheit,
bis du mit dem ganzen Tisch hinten überfällst
und er dich unter sich begräbt.
Drehe den Stuhl auf dem du sitzt um, greife die
Rückenlehne wie Zügel und reite mit Ihm wie auf
einem Pferd durch den Raum. Galopp, Galopp.
Es ist erstaunlich für was Phantasie gut ist.
Du siehst Fern oder klammerst dich an deine
Kontoauszüge, ist das besser? Anders? Nein
Liebesbekundung in 100 Sätzen
"Ich liebe Dich mehr als Du mich."
Die übrigen 99 Sätze konnten wegen Belanglosigkeit gestrichen werden.
Mit Glutamat zum Wohlfahrtsstaat
"Mutter ist die Beste", sagt der Vater mit der Gabel im Mund und legt noch einmal nach.
"Hauptsache es schmeckt", betont die Mutter.
In der Ferne schwingt dumpf die Abrissbirne.
Wie ich in ein Loch kroch
Wie ich in ein Loch kroch,
beziehungsweise wühlte
und mich von dieser Stunde an,
recht wohl bis heute fühlte.
Kunstprojekt II
„Rebecca“, rief er seine Frau zu sich, „die Kunst wird uns aus unserer finanziell unbefriedigenden Situation herausholen.“
Rebecca nickte voller Erfurcht vor solch einer Tatkraft.
„Ich werde das Antlitz Jesu-Christi in den Schnee pinkeln“.
„Und dann?“, fragte Rebecca mit kritischem Blick.
„Dann bauen wir eine Kapelle. Eine Große. Mit Eintritt. Und einen eigenen Imbiss!“, erklärte er und wies auf die nicht abreißenden Pilgerströme hin, die dann kommen mögen.
„Toll“, jauchzte Rebecca, klatschte in die Hände und hüpfte durchs Zimmer.
Er ging sofort hinaus und suchte eine passende Schneefläche, die als Leinwand dienen könnte.
Nichts. Kein Flöckchen.
Das Thermometer zeigte sieben Grad. Plus.
Er klopfte ein paar Mal auf die Skala und schloss den Hosenladen.
Typisch
Erst den Tank leer fahren, bis nichts mehr geht
und dann den Tankwart verprügeln.
Oder den Hersteller verklagen.
Das macht Luft
Diese Realisten bringen uns eines Tages alle um
"Sehen Sie, all diese wundervollen Engel"
"Das sind Wolken, mein Lieber"
"Ignorant, dämlicher!"
Liebesbeweis
Er würde seine grenzenlose Liebe beweisen.
Mal was ganz Verrücktes tun. Was Großes.
Er würde von 1000 Friedhöfen, je 1000 Grablichte stehlen,
um die ganze verdammte Stadt zu illuminieren.
Er würde ein Kerzenherz formen, welches man vom Flugzeug aus sehen könnte.
Zum Beispiel auf der Linie Stuttgart-Köln/Bonn. München-Hamburg.
Oder gar vom Weltraum aus.
Eine Lichtleistung biblischer Ausmaße.
Er würde Flamingos aus dem Zoo stehlen. Nachts, wenn alle Vögel grau sind.
Ihnen ein Liebeslied beibringen. Einen Chor bilden.
Oder weiße Tauben züchten. Hunderte. Oder besser noch Schwäne.
Er würde. Sicher.
Er würde. Könnte er doch wenigstens nur einmal mit dem ständigen Onanieren aufhören.
Brotzeit
Auf der sechsten Etage öffnet sich die automatische Türe und ein Mann wankt in den vollbesetzten Aufzug. Kreidebleich und verschwitzt zittert er in seinem Sakko.
Aus dem Lautsprecher erklingt das Girl von Ipanema.
Instrumental.
Es wird sein letztes Lied sein.
Hustend und keuchend reißt er sich den Schlips von Hals und klammert sich an den Arm einer Dame. Er sinkt zu Boden. Dabei zieht er die Dame mit zu sich herunter und mit seinem letzten Atemzug haucht
nur ein einziges Wort. „Brotzeit!“.
Dann stirbt er. Irgendwo zwischen dem vierten und ersten Stockwerk.
Während in den Köpfen nun krampfhaft eine dämliche Verbindung zu Citizen Kane gesucht wird, macht sich der stadtbekannte Giftmörder, Herbert Brutscheit, schon auf den Weg nach Norddeich. Die Fähre
nach Norderney erwischen.
German Engineering.
Dr. Soltau war erfolgreicher Berater. Zumindest was die Auslegung von Kranstellplätzen anbelangt.
Seine Brust zierte eine pralle Kitteltasche mit sieben Kugelschreibern und wenn er über seine Halbbrille blickte, wusste jeder, dieser Mann versteht sein Geschäft.
Und das Weltweit. German Engineering.
Und dann ist es passiert. Im Herbst 2004.
Erleuchtung, sagte er.
Seither trug er alberne bunte Hüte und erstellte sich Wochenpläne mit Vernissagen und Kunsthappenings, die er unbedingt besuchen musste.
Stufen zum Glück, sagte er. Seine Frau betete jeden Tag, dass er wieder arbeiten würde.
Das könne sie getrost vergessen, beteuerte er. Bis heute. Denn heute hat Dr. Soltau, oder SOL, wie er sich mittlerweile nannte, in einem namhaften Museum Hausverbot bekommen, da er vehement die
Standfestigkeit einer Skulptur angezweifelt hat.
Fassaden
345 Quadratmeter, lichtdurchflutete Räume mit Parkett. Dazu hohe Decken mit Stuck. Ein offener Kamin aus grünem Marmor und eine Dachterrasse, so groß wie ein Tennisplatz.
„Von hier kann man in den Park sehen“, sagt er.
Überall ausgewählte Designermöbel. Hier und da ein zarter Blumenschmuck. Ikebana, extra aus Japan eingeflogen.
Im Masterbedroom, so nennt er das Schlafzimmer, hängt ein wandfüllender Plasmafernseher.
Auf dem Tropenholztisch im Wohnzimmer steht eine Schale mit exotischen Früchten. Leise Musik rieselt aus schulterhohen Klavierlacklautsprechern.
In der Luft ein feiner Duft und echte Kunst überall.
Ich nicke zustimmend, als er die Skulptur beschreibt, die er gerade für den Salon anfertigen lässt.
Dann reicht er mir einen Champagner, ihr wisst schon, dieser Typ mit der Hackfresse.
Alles nur eine Kontextfrage
"In den schmutzigen Pfützen spiegelt sich das Neonlicht der Nachtbars.
In einem Hinterzimmer verrichtet er sein blutiges Geschäft."
Hinweis des Verlages:
Bei der Herstellung der Druckvorlagen, wurde leider ein Auszug
aus dem Roman: "Der Berufskiller" mit dem Beitrag aus dem
Apothekerblatt "Hämorrhoiden heute" verwechselt.
Wir bitten den Irrtum zu entschuldigen.
Fernsehen ist Leben
Das dicke Kind im Fernsehen macht Werbung für Schwarzwälder Kirschtorte.
Da in der Glotze ist das wahre Leben und du stehst wieder nur davor und quetscht eine Banane nach der anderen zwischen deinen Arschbacken aus.
Was dir bleibt sind Schalen.
Gelbe.
Was noch?
Vielleicht dieser Zwang, gleich morgen diese schwarzwälder Backmischung kaufen zu müssen.
Und Bananen. Unmengen von Bananen.
Zeitmaschinen
Zeitmaschine, die Erste.
"Ich ruf noch mal kurz meine Mutter an"
Zeitmaschine, die Zweite.
"Ich ruf noch mal kurz meine Schwester an"
Zeitmaschine, die Dritte.
"Ich ruf noch mal kurz Ulrike an"
Briefe aus der Zukunft
Es kommt nicht oft vor, dass man Post aus der Zukunft bekommt.
Wenn es dann aber noch Post von dir selber ist, dann ist das schon etwas ganz besonderes.
Eigentlich sollte ein Brief aus der Zukunft Grund genug sein an seinem Verstand zu zweifeln, oder sofort verrückt zu werden. Ich aber saß beinahe unbeeindruckt vor dem Umschlag und betrachtete meine
eigene Schrift, die mit den albernen Häkchen und den aufgeblasenen i-Punkt Kringeln.
Der Persönlichkeitstest einer Frauenzeitschrift deutete dies einmal als Hinweis auf Minderwertigkeitskomplexe, auf kindliche Naivität. Eigentlich falle ich immer bei solchen Tests durch. Beim
Wassermann-Test. Gute-Mutter-Test. Beim Liebesorakel.
Nun gut. So konnte ich zumindest sicher sein, dass dieser Brief tatsächlich von mir war.
Zunächst wollte ich den Brief nicht öffnen, da mir die Bemerkung „Sofort lesen, du Trottel.“ etwas zu unverschämt rüber kam.
Und dann noch dieser pathetische Satz: „Dein blödes Leben könnte davon abhängen“. Ja, ja.
Ich dachte nur bei mir, was willst du mir denn vormachen, wenn du auch in der Zukunft immer noch diese dämlichen i-Kringel machst. Kindlich naive Kringel.
Ich habe meinen Brief trotzdem geöffnet.
Und ich gebe ehrlich zu, ich habe es bis heute nicht bereut.
Gleich gehe ich zur Post und werfe einen weiteren Brief für mich ein. Einen mit wichtigen Informationen. Ich danke mir dafür. Das heißt, ich habe mich schon dafür bedankt. Irgendwann, damals.
Und hier noch ein Gruselschocker zum Thema Meeresfrüchte als Zugabe
Johnny Tentakel. Ein Weltenwunder
Das Kind hieß Torben. Ein bescheuerter Name für ein Kind mit einer Tentakel.
Ja. Ihr habt richtig gelesen, Tentakel. Anstatt eines Armes ist dem Kind
tatsächlich eine Tentakel gewachsen.
Ich glaube es war der linke Arm. Oder war es rechts? Spielt auch keine Rolle.
Das Kind hieß auf jeden Fall Torben und hatte diese Tentakel.
Ziemlich ekelig, findet Ihr nicht auch?
Torben saugte sich mit der Tentakel überall fest und schleimte alles ein.
Ein unhaltbarer Zustand. Ausflüge mit dem Kinderwagen? Lieber nicht.
Kindergruppe? Unmöglich.
Die Mutter konnte mit der Situation nicht umgehen und verkaufte das Kind
kurz nach der Geburt an einen Zirkus. Es war Zirkus Bomelli. Für stolze 1000 Mark.
Das sind heute etwa 500 Euro. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen,
fünfhundert.
In Worten - fünfhundert.
Nun, dort im Zirkus machte das Kind eine steile Karriere unter dem
Künstlernamen „Johnny-Tentakel“. Was Johnny alles mit seiner Tentakel anstellte. Unglaublich.
Nach einer kurzen, aber heißen Affäre mit der Schlangenfrau, heiratete er im Jahr 1983
die Tochter des Direktors. Ich war eingeladen.
Ein schönes Paar.
Na, ja, bis auf die Tentakel vielleicht.
Johnny, seine Frau und ich haben sogar an einem Tisch gesessen und gegessen.
Und dann ist es passiert. Oh weh.
Ich habe ein Bild davon gemacht.
Ich muss das Bild hier noch irgendwo haben. Nur wo? Werde gelegentlich danach suchen.
Worauf ich hinaus wollte?
Also, seit diesem wundersamen Jahr 1983 bekomme ich keine Tintenfischringe
mehr herunter. Auch nicht mit Remoulade.